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Nun hatte ich keine Zeit mehr, denn der Wecker dudelte aufdringlich. Vor eine Weile hatte ich mal ein sehr entspannendes Lied als Wecksound eingestellt, der Effekt war dennoch derselbe! Mal überlegen: Der Flug ging um halb elf, gerade war es um sieben ... Das hieß, dass ich noch ein wenig Zeit hatte, um easy zu bleiben und mich nochmal auf die andere Seite zu drehen! Vorsichtig machte ich ein Auge halb auf und blickte auf den halb geöffneten Rucksack, der an der Wand lehnte. So ein Mist, in der Aufregung hatte ich gestern mein Portemonnaie und meinen Pass ganz unten reingepackt. Jetzt musste ich fast alles nochmal auspacken. Und wo waren gleich nochmal die Tickets? Oh Junge ... Ich machte mein Auge schnell wieder zu. Wie cool – morgen würde ich in Porto aufwachen und die erste Etappe des Jakobsweges gehen! Total irre.
Die halbe Nacht konnte ich nicht richtig schlafen, da es um diese Jahreszeit für gewöhnlich bereits sehr, sehr warm in meiner Dachgeschosswohnung war. Schon letztes Jahr hatte ich mir gedacht: Ich könnte jetzt natürlich eine tolle Klimaanlage kaufen, oder eben dieses Geld in die Produktion des nächsten Albums investieren ... was soll ich sagen, es war eben nach wie vor sehr warm hier oben. Besonders ausgeruht fühlte ich mich an diesem Morgen also nicht. Fast war ich schon wieder leicht am wegdämmern, als mein Handy erneut protestierte. Naja was soll‘s, los, aufstehen! Ich schwebte aus dem Bett in Richtung Bad, von da an mehrmals noch etwas orientierungslos zwischen Küche, Kleiderschrank und Rucksack hin und her. Dann gab es mein Standardfrühstück: Zwei Brötchen mit Käse, zwei Bananen, einen Apfel und eine Tasse Earl Grey (ganz wichtig!). Mmm, nichts geht über Earl Grey. Nun erst war ich auch richtig in der Lage, beide Augen aufzumachen. Nachdem ich in jedem Raum noch ein letztes Mal nach ausgeschalteten Geräten und auch wirklich geschlossenen Fenstern gesehen hatte, strich ich ein letztes Mal über meine Lieblingsgitarre, den Coolinator (meine erste Selbstgebaute!) ...
... und verließ die Wohnung. Nach der ersten Treppe blieb ich stehen, überlegt kurz, sprang zurück und schaute nochmal nach, ob das Badezimmerfenster auch wirklich wirklich geschlossen war, also so richtig! Ja, alles zu. Ich lauschte: Friedlich blubberte mein Kühlschrank vor sich hin, ansonsten war es ruhig. Hier gab es nichts mehr zu tun! Ich schloss die Tür, ging aus dem Haus und stieg in mein Auto. Es war erst kurz nach acht und um diese Zeit war noch nicht wirklich viel Verkehr auf den Straßen. Doch bevor es richtig losging, schaute ich noch bei meiner Mutter vorbei, gab ihr für alle Fälle die Zweitschlüssel zu meiner Wohnung und meinem Wagen und überreichte ihr unter Tränen den Geheimschlüssel zu meinen heiligen Schnupftabakvorräten (ich übertreibe etwas). Kurz darauf rauschte ich über fast leere Straßen zum Flughafen und ließ ganz in der Nähe meinen Wagen stehen.
In der Eingangshalle war natürlich bereits ordentlich Betrieb! Jemand verkündete über Lautsprecher ungefragt aber freundlich Informationen über irgendwelche Gates, während ich mich an einem der Schalter anstellte. In Slowmotion ging es zur Ticketausgabe und ich war erst etwas besorgt, ob mein voller Rucksack auch wirklich als Handgepäck durchgehen würde. Der nette Ticketonkel warf einen kurzen, prüfenden Blick darauf, lächelte, gab mir die Tickets und versicherte mir, dass alles in Ordnung sei. Super! Genau so hatte ich mir das vorgestellt. An dieser Stelle gab es auch keine Probleme mit einem sperrigen Wanderstab – den wollte ich mir erst in Portugal besorgen. Weiter also zum Sicherheitscheck (no Problemo!) und von dort aus zum Gate 24. Jetzt hatte ich noch deutlich über eine Stunde Zeit. Da das Flughafen-WLAN irgendwie nicht funktionierte, was vielleicht auch an meinem alten Handy lag, wäre jetzt doch der ideale Zeitpunkt, um mit etwas guter Musik so richtig in den Tag zu starten! Ich fischte aus den Untiefen meines Rucksacks nach Ohrstöpseln, suchte mir einen sonnigen Platz in der großen Wartehalle und hörte eins meiner Lieblingslieder von Dr. John. Nach ein paar Minuten erspähte ich sogar einen Arbeitskollegen und wir plaudern eine Weile. Er wartete auf seinen Flieger nach Mallorca und freute sich auf die verdiente Auszeit. Als ich wenig später im Duty-Free-Shop die Preise für ein Fläschchen Wasser bestaunte, wurde mein Flug aufgerufen: Leipzig nach Frankfurt! Dort würde ich geplanterweise zwei Stunden später in das Flugzeug nach Porto umsteigen und gegen 15:30 Uhr mein Ziel erreichen. Also los geht’s! Von den Stewardessen in ihren schicken Uniformen bekam jeder Passagier eine kleine Tafel Schokolade in die Hand gedrückt. Langsam hangelte ich mich zu meiner Sitzreihe durch und versuchte, niemanden mit meinem großen Rucksack zu erschlagen. Einen weiteren Grund zur Freude gab es, als ich meinen Sitzplatz erspähte: Ein Fensterplatz! Jippie! Schön rausgucken und Wolken zählen. Es waren nicht sonderlich viele Leute an Bord, also hätte eine Sitzplatzreservierung auch keinen großen Unterschied gemacht. Es die üblichen folgten Sicherheitshinweise, auf-die-Startbahn-rollen und das finale Losbrettern vor dem Abheben. Alles lief wie geschmiert und ich bekam von der Stewardess feierlich ein Sandwich überreicht.
In Frankfurt brauchte ich zunächst eine Weile um mich zu orientieren. Was für ein riesiger Laden! In einem Bistro in der Nähe meines Gates kaufte ich mir ein weiteres Sandwich und fläzte mich in einen wahnsinnig bequemen Sessel in einer Art Entspannungsbereich für Wartende. Rechts neben mir saß ein rundlicher Mann, der mit bemerkenswerter Geschwindigkeit Chips futterte und seltsamerweise geistesabwesend die Ode an die Freude vor sich hin summte. Nett! Nach einer guten Stunde wurde mein Flug nach Porto aufgerufen und ich ließ mich in das nächste Flugzeug fallen. Diese Maschine war nun deutlich größer als die Letze und fast komplett ausgebucht. In der Reihe vor mir saß leider ein Experte, der … wie soll ich es sagen … naja, er müffelte wie ein toter Puma. Einige Passagiere wurden schon etwas unruhig und rümpften die Nase. Mit Schnupftabak natürlich für mich alles kein Problem, aber für alle Nicht-Schnupfer eher schwierig. Der Flug von Frankfurt nach Porto dauerte ca. zwei Stunden. Vor dem Landeanflug zog der Pilot eine langgezogene Kurve in geringer Höhe und ermöglichte uns einen sagenhaften Blick über die Altstadt von Porto.
Ich hatte bereits ein Hostel für die eine Nacht gebucht – Taxi vom Flughafen inklusive. Dort wartete in der Empfangshalle auch bereits jemand auf mich: Ein netter junger Kerl, der einen mit grünem Filsstift beschriebenen Zettel mit meinen Namen in die Luft hielt. Er fuhr mich in die Altstadt und deutete während der Fahrt auf viele Bauwerke und Monumente, nannte ein paar Daten zu ihrer Geschichte und Bedeutung und schmiss mich nach ca. 30 minütiger Fahrt vor dem Hostel wieder raus. Von dort aus sind es nur wenige Schritte bis zum Fluss Douro, der durch Porto fließt. Dort wurde ich in einem Vierbettzimmer untergebracht, im - *hechel* - Dachgeschoss, in dem es sogar noch wärmer als in meiner kochend heißen Wohnung in Leipzig war. Prima. Aber egal, das machte gar nichts! Denn wer hat schon so einen tollen Ausblick, wenn man sich in seinem Bett zur Seite dreht und aus dem Fenster blickt?
Nach einer kurzen Erfrischung ging es direkt ins Städtchen. Porto ist eine der ältesten Städte Europas und die Zweitgrößte Portugals. Eigentlich würde ich auch gerne einige Wochen nur damit verbringen, diese Stadt zu erkunden und ihre Geheimnisse zu entdecken. Außerdem lehrt uns Wikipedia: „Nachtleben: Die Bars schließen am Wochenende um 4 Uhr früh.“ Langweilig würde es also nicht werden.
Eine ganze Weile lief ich durch die kleinen Gassen und über schöne Plätze …
..., bis ich vor einer großen Kirche in der Nähe des berühmten Buchladens Lello stand. Mein schlechter Orientierungssinn machte sich bemerkbar: Ich wusste zwar, dass ich in der Nähe des Buchladens war, den ich unbedingt anschauen wollte, aber wo genau … naja. Ich setzte mich etwas geplättet von der Hitze in die Kirche und betrachtete eine Weile die vielen goldenen Statuen und verzierten Heiligenfiguren. Eine bunt gekleidete ältere Dame vor mir kniete andächtig vor dem Altar und betete. Gar nicht dazu passten die vielen Touristen, die Bilder-knipsend an ihr vorbei huschten und einen ziemlichen Lärm veranstalteten. Irgendwann stand die Frau auf, bekreuzigte sich noch einmal und machte sich wieder auf den Weg, nicht jedoch, ohne noch einen entrüsteten Blick auf eine Touristengruppe zu werfen. Ich blieb sitzen und war sehr nachdenklich: Man, ich finde ja noch nicht mal einen Buchladen in der Altstadt von Porto – wie zum Geier soll ich es nach Santiago schaffen? Mein Aktionsradius war gefühlt bis jetzt eher noch der eines Bierdeckels. Aber es nützte auch nichts ewig hier rumzusitzen, sich über die Hitze aufzuregen und um Dinge zu sorgen, die noch gar nicht eingetreten waren. Also wieder raus auf die Straßen und easy bleiben - das wird schon alles! In Slowmotion ging es weiter eine kleine Gasse herauf, die zu einem großen Platz führte; die Abendsonne glitzerte in den vielen bunten Kacheln, welche die Häuser schmückten, eine historische Straßenbahn wackelte langsam über den Platz und im Schatten neben einem Café spielte ein alter Mann auf seiner Gitarre.
Das war irgendwie ein echt starker Moment. Und wie ich dort stand, erblickte ich doch auch den Buchladen! Na, es gab also doch noch Grund zur Hoffnung, hehe. Der Buchladen war urig und liebevoll eingerichtet ...
... , aber kleiner als erwartet, sodass ich nur kurze Zeit später schon in einem kleinen Restaurant in der Nähe der Promenade saß und eine Cola schlürfte. Hinter mir saßen ein paar junge Briten; sie lehrten mich, dass man in jedem Haupt- und Nebensatz das Wörtchen ‘fuck‘ unterbringen kann, ohne unangenehm aufzufallen. Es käme nur auf die Betonung an! Einfach prima. Ich aß eine unglaublich leckere Käsepizza, trank kräftigen Rotwein und lief erst ziemlich spät, leicht schwankend, wieder zum Hostel zurück. In unserem Zimmer wurde bereits kräftig geschnarcht & gehustet, aber ich hatte zum Glück meine Ohrstöpsel dabei.
Letzter Move für heute: Ich schaltete mein Handy aus und packte es so tief wie möglich in meinen Rucksack. Ab jetzt erstmal keinen Wecker mehr! Ich huschte ins Bad und kletterte dann vorsichtig auf mein Doppelbett. Warum überhaupt vorsichtig?! Hier drin ist es so laut, dass das wohl kaum jemandem auffallen dürfte.
Also: Morgen geht’s auf den Camino!