Tag 3

Also, egal, weiter gehts zum Markt. Dort freute ich mich über frische Äpfel, Birnen und Bananen. Alles musste hier wieder mit Zeichensprache ablaufen, da Englisch auf der einen- und Portugiesisch auf der anderen Seite nicht besonders weit führte. Als noch eine mauzende, graue Katze um die Ecke auf mich zutippelte, ist die friedliche Nachmittagsstimmung perfekt! Kurz bevor ich sie am Nacken kraulen wollte, machte ich jedoch einen Satz zurück, da sie beim näheren Hinsehen mehr zappelnde Flöhe als Fell zu haben schien. So brach ich recht bald wieder auf, biss in meinen Apfel und schoss noch, kurz bevor ich um die Ecke bog, ein Foto von dem kleinen Marktplatz mit dem kleinen Flohspender im Bild, der mir ein Weilchen nachsah:


Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es nun schon früher Abend war. Verdammt. Ich zog umständlich meine Karte aus der Seitentasche meines Rucksacks (eine Bewegung, die offensichtlich ziemlich doof aussah, wenn ich die Reaktion zweier Dorfbewohner hinter einem Schaufenster richtig interpretierte) und schaute nach, welche Herbergen es hier in der Nähe gab. Tatsächlich gab es eine, nur ein paar Straßen von hier entfernt. Sollte ich nach weniger als zehn Kilometern mich heute wirklich schon aufs Ohr hauen? Auf der anderen Seite war ich mittlerweile echt ziemlich fertig, die Hitze war nach wie vor beinahe unerträglich und die hohe Luftfeuchtigkeit machte es auch nicht gerade leichter. Übel war mir auch noch ein wenig, wahrscheinlich von den Drachenfingern & der Hitze. Hm, also lass mal überlegen... wenn ich heute hier eine Unterkunft finden, mich bald ins Bett werfen und dann morgen in aller Frühe aufbrechen würde, könnte ich wieder etwas aufholen. Und falls ich morgen auch nicht soviel wie am ersten Tag schaffen sollte, wäre immer noch eine Menge Zeit. Ja, ist wohl besser so.

Nach ein paar sinnlosen und ungeplanten Umwegen bog ich in eine breite Straße ein, die von mehreren großen Einfamilienhäusern gesäumt wurde, von denen jedoch die meisten offenbar leer standen. Wer also noch eine günstige Sommerresidenz sucht, sollte es vielleicht mal in Vila Cha versuchen.

Bevor ich aber die Herberge erreichte, erspähe ich den Eingang eines Campingplatzes, auf dem sich nicht nur Bungalows, sondern auch freie Flächen und, in gleichen Abständen, große Palmen befanden. Da könnte ich doch meine Hängematte ausprobieren? Oder vielleicht gab es ja auch noch einen Schlafplatz in einem der Bungalows. In dem kleinen Anmeldungshäuschen traf ich jedoch auf eine von tiefster Uncoolheit geprägte Frau, die mich knurrig wieder wegschickte. „Keine Einzelpilger, nur Gruppen“, krähte sie. Pah! Dann doch lieber zur Herberge. Ich drehte wieder um und lief zurück zur letzten Kreuzung; bevor die nach links führende Straße einen Knick machte, wies ein kleines Schild den Weg zum Grundstück, auf dem sich nicht nur die Herberge, sondern auch ein kleines, niedlich eingerichtetes Fischereimuseum befand.

Im Innenhof saßen zwei Männer, quarzten dicke Zigarren und schauten mich freundlich an. Ich wollte gerade meinen Mund aufmachen und nach der Anmeldung fragen (oder wie sagt man das bei kirchlichen Herbergen - Rezeption? Empfang?), als einer der beiden seinen Arm hob und zu einer Tür an der rechten Seite des vorderen Gebäudes wies. Ich bedankte mich, schlurfte in das kühle Gebäude (aah...angenehm!) und weckte dabei eine junge Frau auf, die gerade in einer Ecke des Raumes, auf einem Hocker sitzend und den Kopf an der Wand gelehnt, ein Nickerchen hielt. Sie schaute mich halb verärgert, halb verwundert an, doch ich zwang mich zu einem Lächeln (sah zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich eher wie eine gequälte Grimasse aus), worauf sie zurück lächelte. Ich reichte ihr meinen Pilgerausweis und sie schrieb meine Daten in eine Tabelle, ganz oben in das erste Feld. Wie - nur ich? Na, dachte ich mir, da kommen aber sicher noch welche - ich werde bestimmt nicht ganz alleine in einem großen Schlafsaal übernachten! Es stellte sich heraus, dass ich jedoch tatsächlich für heute der einzige und letzte Pilger war, den sie registrierte. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich bekam meinen Stempel, danach zeigte sie mir den Schlafsaal, die Küche und das Bad, händigte mir die Schlüssel zur Herberge und dem Eingangstor aus und überreichte mir zudem noch zwei kleine Päckchen: Dünne Einmalbezüge für das Kunststoffkopfkissen und die Matratze. Nur seine eigene kleine Decke oder einen Schlafsack sollte man natürlich dabei haben; für ganz kalte Nächte waren aber auch einige dicke Decken aus grobem Stoff vorrätig, die feinsäuberlich gestapelt in einem großen Korb lagen. Ich wollte aber unbedingt mein aufblasbares Kopfkissen ausprobieren und legte das Kopfkissen der Herberge auf das untere Etagenbett. Moment Mal, vielleicht sollte ich lieber das untere Bett nehmen – da wäre es nachts bestimmt kühler. So, perfekt!


Bevor mich ich in Downtown Vila Cha auf die Suche nach einem Restaurant machte, stellte ich mich für ein Weilchen unter die Dusche, genoss das warme Chlorwasser und wusch danach in Windeseile mit einem Stückchen Kernseife meine Wäsche in einem uralten Waschzuber. So ein Ding sah ich zum ersten Mal – es funktionierte aber echt super. Nur bekam man nach einer Weile ganz komische Haut an den Händen, wenn man wirklich jeden Tag mit Kernseife an seiner Handwäsche herumschubbert. Vor dem Haus stand ein wackeliger Kleiderständer, auf den ich meine labberigen Sachen hing und mich dann auf den Weg machte.


Ich lief eine Weile suchend durch die Straßen und sah ein kleines Restaurant, das offenbar gerade öffnete. Stimmt, war ja auch Siesta, Abendbrot wird hier immer etwas später gegessen. Direkt gegenüber lag der Campingplatz; die Anmeldungstante schloss gerade die Tür zum Nebenhäuschen und machte offensichtlich Feierabend. In dem schönen, kleinen Vorgarten des Restaurants setzte ich mich an einen der vorderen Tische, bestellte eine braune Blubberbrause und eine Schale Oliven mit etwas Brot und blinzelte in die rote Abendsonne. Langsam wurde es kühler und Grillen zirpten eifrig um die Wette. Nach einer Weile kam eine Gruppe belgischer Touristen vom Campingplatz rüber, alle so um die 50, und setzen sich an eine lange Tafel. Ich überlegte gerade, wie alt wohl die Kellnerin sei, die mir vor zehn Minuten meine Cola und die Vorspeise servierte, als ich von der Seite angestubst wurde und die Köchin mir eine mir Eis und diversen Fischsorten gefüllte Blechwanne unter die Nase hielt. Der Geruch ließ meinen Magen, der immer noch eingeschnappt war von den Drachenfingern, heftig protestieren. Bevor ich meine Vorspeise wieder präsentieren konnte, winkte ich möglichst freundlich ab und bestellte schnell etwas anderes. Sie nickte, schaute aber etwas enttäuscht und trabte zu den Campern, die sich freudig ihren Fisch raussuchten, der auch sogleich unter lautem Gebrutzel nebenan zubereitet wurde. Ich war mir sicher: Der Fisch zappelte vor einer Stunde noch im Netz, war super lecker und würde liebevoll angerichtet – aber für heute gab ich mich dennoch mit Brot, Käse, Oliven und einem Stück Karamellkuchen zufrieden. Mit Karamellkuchen bin ich übrigens meistens sowieso schon ausgesprochen zufrieden!

Ein ganzes Weilchen saß ich dort, genoss die Abendluft, dachte über den Tag nach und schrieb ein paar Gedanken in den Pilgerblock. Auf den Rückweg machte ich mich erst, als die Sonne schon fast verschwunden war und fand, nach einem kleinen Abstecher zum einzigen Tante-Emma-Laden im Dorf, den Schlafsaal so leer und still vor, wie ich ihn vor einigen Stunden verlassen hatte.

Als ich dann im Bett lag, im Halbdunkel all die unbelegten Betten sah und mir der totalen Stille bewusst wurde, fühlte ich mich plötzlich ziemlich einsam hier. Mann: Jetzt lag ich hier mitten in Portugal, diesem tollen, bunten Land, doch nun war kein Arsch ist da – das gefiel mir einfach nicht! Auf der anderen Seite sagte ich mir: Junge, sieh es doch mal positiv. Du hast den ganzen Laden nur für dich. Und überhaupt, hier war es doch auch gar nicht so schlecht. Es war mittlerweile angenehm kühl, es zog nicht und keiner schnarchte dir ins Ohr.

Trotzdem – was würde John Lee jetzt wohl sagen?


One night

I was laying down

Felt so bad, so bad, so low, so low

The Blues came along

And healed me!


Und zack, war ich eingeschlafen.